Führen im Zeitalter der Verletzlichkeit

An einem Freitag im Februar haben wir uns die Frage gestellt: "Wie gelingt Führung im Zeitalter der Verletzlichkeit?".

Im Rahmen eines Clubhouse Talks mit Maria Zesch (CCO, Magenta), Klaus Schwertner (GF, Caritas Wien), Gunther Reimoser (Country Managing Partner, EY Austria), Gerhard Schilling (GF, Almdudler) und Herwig Kummer (Leiter Personalmanagement, ÖAMTC). Moderiert von Bernhard Sieber, Weltmeister im Rudern und Coach und Sabine Hoffmann (Gründerin und Transformatorin, ambuzzador).

Was daraus entstanden ist? Eine tolle erste Sammlung aus dem Erfahrungsschatz von Führungspersönlichkeiten mit Hingabe, Empathie und der Neugier, Dinge auch mal neu und anders zu machen.

Wie verletzlich sind wir?

"Beim ersten Lockdown vor einem Jahr dachte ich, jetzt geht es um die Zukunft unseres Unternehmens", erzählt Gunther Reimoser, EY Österreich. Im Nachhinein hat sich das Unternehmen als deutlich resilienter herausgestellt, als angenommen. Unser Wirtschaftssystem bislang auch (noch).

Aber wie steht es um uns Menschen? Der Tenor in der Diskussion war klar: wir Menschen sind verletzlich. In unserer Gesundheit, aber auch der Stabilität unserer Psyche. Drum braucht es deutlich mehr Fokus auf den Menschen, den Kontakt und die Verbundenheit von Teams. "Mein größtes Anliegen in dieser Situation ist "Empathie", teilt Maria Zesch. "Das Mitfühlen mit MitarbeiterInnen, das bewusste Nachfragen "Wie geht es Dir?", einfach weil ich es nicht mehr spüre im digitalen Kontakt."

In der Führung von Teams und Organisationen bedeutet Verletzlichkeit seit einem Jahr (erster Lockdown, Covid-19) das Treffen von Entscheidungen ohne bewährte Grundlagen. "Das braucht Mut, da ist kein Platz für Heldentum." bringt es Herwig Kummer, ÖAMTC auf den Punkt. Und manchmal bedeutet es auch falsch zu liegen mit Entscheidungen.

Solidarität vs. Disziplin (Ermüdung, Erschöpfung)

Die Hauptmotivation für Menschen, die sich an die vorgegeben Maßnahmen halten, ist Solidarität. Mit Risikogruppen und ihren Nächsten. "Diese Solidarität hat sich spätestens seit dem Herbst in Disziplin verwandelt. Und bringt Ermüdungs- und auch Erschöpfungserscheinungen mit sich.", erzählt Klaus Schwertner aus seinem Alltag in der Führung, aber auch "an der Front" in der Caritas Wien. Die Aufgabe des Leaderships? Ganz klar: Mut und Zuversicht zu verbreiten. Klaus Schwertner schildert den eindrucksvollen Fall, in dem die Leiterin eines Pflegeheims persönlich in das Heim eingezogen ist, um ihr Team zu stärken, in einer Phase der Krise.

Erste Hilfe in der Panikzone

In der Führung braucht es jetzt neue Instrumente für den Aufbau von Empathie "aus der Ferne", um den "Faktor Mensch" in unserem Leistungssystem zu integrieren.

  • Aktiv Gestalten: Das Aufbauen von Mut und Zuversicht in Bereichen, die aktiv gestaltet werden können. Tun und selbst gestalten, egal was im außen passiert.

  • Das Wohlbefinden des Einzelnen als Mensch VOR die Interessen des Unternehmens stellen: "Wir sind plötzlich in einer sehr hohen Verantwortung für die Gesundheit unserer Mitarbeiter. Das steht an erster Stelle in den Führungsaufgaben." erzählt Günter Reimoser, EY.

  • Neue Sensoren! Der Aufbau engmaschiger Kontaktpunkte, zB im Rahmen täglicher StandUp Calls.

  • Raum für Sorgen: Einsamkeit taucht plötzlich als Thema auf. Die Bedeutung des Zusammenkommens am Arbeitsplatzes wird jetzt spürbar, allein zu Hause mit Themen aller Art bringt so manch eineN aus der Komfortzone. Unternehmen, aber auch die Caritas Wien haben Hotlines dafür eingerichtet, die vermehrt angenommen werden. Berichten Maria Zesch und Klaus Schwertner. Auch die Möglichkeit mal ins Büro auszuweichen (zB beim ÖAMTC) kann für Erleichterung sorgen.

  • Denken in Szenarien: Die Planung von Zukunftsfeldern, bewusst in Szenarien gedacht, um vorbereitet zu sein auf was immer kommt. "Das erzeugt ein Gefühl von Sicherheit." ist Gerhard Schilling, Almdudler überzeugt.

Haltung bewahren

Wie gelingt es, Menschen dabei zu supporten, eine positive Haltung zu bewahren? Schließlich ist neurowissenschaftlich bewiesen, dass uns Jammern buchstäblich "nach unten zieht", uns in Kreativität und Tatkraft lähmt. Die Erfahrungen aus unserem Panel:

  • Nähe trotz Distanz: in Kontakt und verbunden sein, als Menschen, mit denselben Sorgen vor allem aber auch Träumen für die Zukunft!

  • Kein Jammern, sondern gestalten: Projekte und virtuelle Räume schaffen, in denen gemeinsam Dinge entstehen und jedeR Einzelne seine Selbstwirksamkeit erleben kann.

  • Die 4 Z's: Ziele setzen, Zeit nehmen für mein Gegenüber, Zuhören oder besser lauschen was der/ die andere sagt oder auch nicht sagt, Fehler, Zweifel und Menschlichkeit Zulassen.

Ist das nicht eine Riesenchance aus unserer Welt der vermeintlichen Perfektion und Kontrolle auszubrechen und einander und unseren Herausforderungen authentisch und offen zu begegnen? Das setzt Integrität voraus, Werte die wir (vor)leben als Führungspersönlichkeiten... in dieser Runde an diesem Abend waren das Dankbarkeit, Demut, Verantwortung, Spaß, Zuversicht, Empathie, Dialog und Verbundenheit.

Der persönliche Kontakt fehlt ...

Wir Menschen lieben den Kontakt zu anderen Menschen. Dass dieser nicht fehlen muss und wie sie das auch im Rahmen der bestehenden Covid Bestimmungen möglich machen, haben unsere Panel TeilnehmerInnen offen geteilt:

  • Spazieren gehen: "Ich habe das Spazieren gehen entdeckt, als Format für Zielgespräche und One2Ones mit meinem Team", erzählt Maria Zesch. Damit sorgt sie für Abwechslung, Gesundheit und einen klaren Geist. Für sich selbst und ihr Team, aber auch mit Partnern. "Im Austausch mit anderen entstehen neue Ideen und Möglichkeiten für ein abwechslungsreicheres Zusammenarbeiten.", berichtet Maria Zesch aus ihrem Führungsalltag.

  • Neue Formate und virtuelle Räume: Auch in den Formaten variiert Maria Zesch ihre Meetings: Miro oder Mural Boards für kreatives Zusammenarbeiten, Zoom Rooms für den persönlichen Austausch..

  • Entertainment: „better together“ nennt sich ein Format von EY Österreich. Ein Angebot, das sozialen Austausch mit den KollegInnen ermöglicht.

Wie kommen wir da wieder raus?

Jede Krise geht vorbei, was wir mitnehmen sind neue Superkräfte, die wir im Rahmen der Bewältigung am Weg raus entwickeln. Diese haben wir gesammelt, an jenem Freitag Abend im Clubhouse:

  • Die Bewusstheit der Privilegierung, die uns jeden Tag dankbar sein lässt für das was uns möglich ist und was entsteht.

  • Solidarität, die in Zeiten wie diesen eine neue Dimension erfährt und uns spüren lässt, wie eingebettet wir sind im Sozialsystem "Menschlichkeit".

  • Brücken bauen zwischen unterschiedlichen Positionen, zB den ImpfverfechterInnen und den ImpfgegnerInnen. Lauschen zu lernen, Empathie zu üben und neue Perspektiven bewusst einzunehmen.

  • Kleine Schritte gehen. Jeden Tag ein Stück zu lösen. Von dem großen Problem Klimanotstand, der ja hinter dem steht was wir aktuell erleben - als eine Chance zu erwachen und Potenziale zu entfalten, statt die Ressourcen dieses Planeten auszubeuten.

  • Gestalten statt jammern: in Verbindung gehen mit den Menschen rund um mich. Spüren was es braucht und aktiv gestalten, um neue Möglichkeiten zu eröffnen. Statt zu jammern und in den Widerstand zu gehen gegen eine Situation, die wir als Menschheit aktuell nicht verändern können.

  • Innovationsmanagement: Neues entsteht oft unter Druck. Warum also diese Krise nicht als Chance nutzen, um radikal neu und anders zu denken. Neue Wege einzuschlagen, um gestärkt aus dieser Phase zu gehen: als Mensch, als Führungspersönlichkeit, als Team, als Business!

Soweit ein Auftakt zum Thema "Führen im Zeitalter der Verletzlichkeit" - zum fast Jahrestag des ersten Lockdowns. Ich bedanke mich für die Offenheit aller Beteiligten!

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